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Staatsraison


Es ist in diesen Tagen viel die Rede von der Staatsraison. Bezogen ausschließlich auf den Konflikt im Nahen Osten und das Existenzrecht Israels. Doch darum soll es an dieser Stelle gar nicht gehen. Es geht um eine innenpolitische Frage. Oder vielmehr: die innenpolitische Frage.


Die Frage nämlich, wie es für Deutschland weitergeht. Und ob überhaupt. Mit dem wieder offen ausgebrochenen Nahost-Konflikt ist die Situation nicht einfacher geworden. Der Konflikt bedroht die Sicherheitslage aus dem Inneren heraus deutlich stärker, als sie der Diktator Putin aufgrund des Einstehens Deutschlands für die Ukraine jemals bedrohen könnte. Die russische Armee steht noch nicht mal vor der Tür, der islamistische Extremist hingegen ist schon da.


Diese Lage verunsichert gemeinsam mit Ukraine-Krieg, Inflation, Energiewende und nicht zuletzt der Migrationsfrage, die mit der Bedrohungslage nunmehr in den Augen der Bevölkerung unmittelbar verknüpft ist, die Menschen im Land auf das Äußerste. Die politischen Ränder gewinnen in Umfragen und Landtagswahlen hinzu, die Kräfte der Mitte haben Mühe, sich zu behaupten. Wobei die Frage offen bleibt, ob auch der linke Rand gewinnt, da die Linke stagniert und die Positionierung der Gruppierung um Sarah Wagenknecht diffus bleibt.


In dieser Lage regiert die Bundesrepublik ein Bündnis, das man durchaus als eine Rot-Grüne Minderheitsregierung unter Tolerierung der FDP - seinerzeit, 2021, aus Staatsraison - bezeichnen kann. Mit einer, zumindest in der Wahrnehmung, eher grünen Dominanz innerhalb der Minderheitsregierung, da unklar ist und bleibt, was die SPD politisch möchte. Klar ist hingegen, dass das, was die Bundesregierung in den Augen der Menschen tut, nicht das ist, was die Menschen mehrheitlich möchten. Müßig ist es, zu philosophieren, ob es sich um schlechte Politik oder um grundsätzlich gute Politik, die nur schlecht rüberkommt und erklärt wird, handelt. Im Ergebnis wird sie ausweislich der Umfragewerte sowie der Ergebnisse der Landtagswahlen mehrheitlich abgelehnt.


Dabei können viele Punkte, auf die sich die Ampelparteien geeinigt und diese umgesetzt haben, durchaus als fortschrittlich und gesellschaftlich geboten bezeichnet werden. Allein: das sind nicht die Themen, die die Mehrheit in diesem Land umtreiben. Und es sind auch nicht die Themen, die dringend angegangen werden müssen, auch in den Augen der Menschen. Es muss sich etwas ändern in der Politik in diesem Land und es ist nicht mehr viel Zeit dazu, will man nicht das Große und Ganze riskieren.


Damit sind wir bei der Staatsraison. Unstrittig sollte sein, dass die Aufrechterhaltung eines demokratischen, rechtsstaatlichen und sozialen Bundesstaates, wie er im Grundgesetz angelegt ist, Staatsraison in Deutschland ist. Die aktuelle Lage erfordert Maßnahmen, bei denen einige der regierenden Parteien deutlich über ihren Schatten springen müssen. Maßnahmen, die geeignet sind, das Land zu einen und die Probleme in den Griff zu bekommen. Eine Politik, die die aktuellen Themen priorisiert und langfristige Themen an die Erwartungen, Möglichkeiten und Bedürfnisse der Menschen anpasst. Das wird eine Politik der gewaltigen parteipolitischen Herausforderungen sein. Eine Politik, die gegebenenfalls auch zu einem Machtverlust führen kann.


Wen betrifft dies und welche Möglichkeiten haben die Akteure? Beginnen wir mit dem Ampelkoalitionär FDP, der aus Verantwortung für das Land heraus sich nach der Bundestagswahl, angesichts einer strukturell regierungsunfähigen Union, sehenden Auges in ein Himmelfahrtskommando einer gemeinsamen Regierung mit zwei völlig konträren Partnern - sieht man von Übereinstimmungen in gesellschaftspolitischen Fragen ab - begeben hat. Die FDP steht inhaltlich aus Sicht der Menschen auf der durchaus richtigen Seite. Ihr wird angekreidet, sich nicht durchzusetzen bzw. einer Minderheitenposition den Weg zu bereiten. Das sehen ihre Wähler so und das wird auch innerhalb der Mitgliedschaft zunehmend so gesehen. Die Partei steht unter großem Druck, gleichwohl bleibt sie - aus Staatsraison - in der Regierung, um das Land nicht zu destabilisieren. Sie riskiert damit mindestens ihre bundesparlamentarische Existenz, wobei offen bleibt, ob ein Comeback wie 2017 überhaupt je möglich wäre.


Den entscheidenden Hebel, die Dinge im Land zu verändern, haben SPD und Grüne. Betrachten wir zunächst Letztere. Bei den Grünen geht es dabei auch um die Frage, inwieweit sie Teil einer Bundesregierung auch zukünftig bleiben können. An ihnen macht sich der geballte Protest und Unmut der Menschen fest. Das schadet ihren Umfrage- und Wahlergebnissen bislang nur wenig, sie befinden sich auf dem Level von 2021, allerdings bewegt sich auch nichts mehr nach oben. Das Potential ist mit der bisherigen Politik ausgereizt. Die Frage ist, ob sich die Partei zur Mitte hin (wieder) öffnen und damit ein größeres Potential und Optionen auf Regierungsbeteiligungen erschließen will. Denn bei den Grünen liegt der Hauptschlüssel zur Veränderung der Politik. Zwar ist auch die SPD seit geraumer Zeit auf dem Weg, eher „grüne Politk“, statt Politik für diejenigen, die zu früheren Zeiten mal SPD gewählt haben, zu machen. Aber die Partei stellt den Kanzler und möchte das noch eine Weile tun, so dass die Flexibilität, die sie bislang gezeigt hat, auch hier zu erwarten ist.


Einige Ansätze sind bei den Grünen zu sehen. In der Migrationspolitik gibt es ein wenig Bewegung. Robert Habeck ist zuzutrauen, dass er die Zeichen der Zeit erkannt hat, mit seiner durchaus bemerkenswerten Rede zur Nahostproblematik hat er zugleich einen Führungsanspruch dokumentiert, der über den innerhalb der Grünen Partei hinausgeht. Auch durch sein Papier zur Industriepolitik zeigt er, dass er die Herausforderungen und Probleme, vor denen den Standort Deutschland steht, zumindest erkannt hat,wenngleich seine Lösungsansätze nicht in eine ganzheitliche Strategie münden, sondern vielmehr in einer subventionsgestützten Symptom-Behandlung unter Zustimmung der jeweils Profitierenden verharrt. Einer Behandlung, der auch die Grünen zustimmen können, die aber ökonomisch die Probleme, die durch Transformation und Energiewende entstehen und die auf Fachkräftemangel und neue globale Herausforderungen treffen, bestenfalls temporär lindert, nicht aber beseitigt. Es ist noch nicht die politische Kehrtwende, die die Politik der Ampelregierung bräuchte, um in den Augen der Menschen bestehen zu können. Dabei geht es nicht darum, populistischen Strömungen zu folgen. Politik hat gerade in der repräsentativen Demokratie die Aufgabe, das unpopuläre Richtige den Menschen populär zu machen. Aber dazu gehört auch, die Menschen dabei nicht zu überfordern und das richtige Maß zu finden. Und dieses Maß scheint verloren gegangen zu sein.


Gelingt den Grünen aus Staatsraison die politische Wende nicht, was für den Fortbestand der Ampelregierung entscheidend ist, ist die SPD gefordert, die Dinge zu ordnen. Ebenfalls aus Staatsraison. Hierzu gehört die Erkenntnis, eine Regierung zu schaffen, die noch am ehesten in der Lage sein wird, die Probleme in den Griff zu bekommen und die demokratische Stabilität des Landes zu sichern. Diese Regierung würde dann ohne die Grünen regieren und die Union als Regierungspartner für eine gewisse Zeit, ggf. bis zu den regulären Wahlen 2025, einzubeziehen. Die Grünen blieben über den Bundesrat ja durchaus nicht ohne Einfluss, so dass auch diese Konstellation nicht ohne Probleme regieren könnte. Es bestünde aber die Chance, die Politik neu auszurichten, wobei auch langfristige Themen, wie der dringend notwendige Klimaschutz, darunter nicht leiden muss, denn glücklicherweise gibt es unter den Parteien der Mitte, anders als in anderen Staaten, einen Grundkonsens über dieses Thema. Ein solcher Schritt bedeutet auch für die Union eine andere Haltung, nämlich die der Demut. Basis wäre das Wahlergebnis von 2021, nicht die Umfragewerte von Ende 2023. Das beinhaltet die Akzeptanz einer Juniorrolle in einer temporären „Deutschlandkoalition“ zur Bewältigung einer krisenhaften Lage. Auch das ist Staatsraison.


Das Schicksal der Ampel hängt an den Grünen: erkennen sie, dass eine Abkehr von der bisherigen inhaltlichen und organisatorischen Art, Politik zu machen, notwendig ist und gehen sie die Lösung der Probleme pragmatisch an, hat die Ampel Bestand und auch durchaus Chancen, vom Wähler in gut 2 Jahren im Amt bestätigt zu werden. Allen, die das in Zweifel ziehen, sei ein Rückblick auf die Ereignisse der letzten 2 Jahre empfohlen als Beispiel für das, was geschehen kann und den Lauf von Politik beeinflusst. Erkennen dies die Grünen zeitnah nicht, ist die SPD gefordert, das Land zu führen und die gegenwärtige Koalition zu beenden. Eine andere Chance darauf, auch zukünftig den Kanzler stellen zu können und nicht in der politischen Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, hat sie nicht. Die FDP wiederum kann nur zusehen. Und ggf. beten, insofern dies in einer liberalen Partei opportun erscheint. Eigene Einflussmöglichkeiten hat sie nicht. Die Staatsraison zwingt sie, in der Ampel zu verharren. Die Chancen für die Ampel stehen 50:50.

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Björn Sänger

Björn Sänger ist Managing Partner im Unternehmen.

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