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Einfach digitalisieren


„Mit weniger Geld wirksamere Politk machen“, so lautet die Erkenntnis von Bundesfinanzminister Christian Lindner auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass den bisherigen Finanzplanungen der Bundesregierung einen Strich durch die Rechnung macht und für ein Finanzloch von mindestens 60 Milliarden Euro sorgt. Weniger Geld, wirksamere Politik, das klingt ja grundsätzlich gut. Das klingt danach, einen Ordnungsrahmen zu setzen, der Marktkräfte freisetzt, die dann für das nötige Wachstum und die finanziellen Mittel sorgen, die für die anstehenden Aufgaben notwendig sind.


Und ja, es liegt ja einiges im Argen in Deutschland. Die großen Lasten sind möglicherweise, besonders für kleine und mittlere Betriebe, vielleicht gar nicht so sehr diejenigen, die von der klimaneutralen Transformation kommen, sondern die, mit denen sie sich jeden Tag herumschlagen müssen und die aufsummiert eine ordentliche Last ergeben. „Bürokratieabbau“ ist dann auch das Stichwort, dass der Finanzminister als nächstes raushaut. Das ist ja auch naheliegend: kostet nichts, kann schnell gemacht werden und entlastet nachhaltig. In Verbindung mit dem anderen Stichwort „Digitalisierung“ erscheint es, als stünde demnächst ein großer See aus Milch und Honig bereit, aus dem die deutsche Wirtschaft ausgiebig saufen kann, auf das sie kräftig werde und den Herausforderungen der Zukunft trotzen kann.


Das mit dem „Bürokratieabbau“ hat inhaltlich bei genauerem Hinsehen die eine oder andere Tücke, die einer nachhaltigen Lösung mindestens kurz- bis mittelfristig im Weg steht. Exemplarisch sei hier nur das EU-Recht genannt. Nicht alles, was man national möglicherweise als Bürokratie empfindet, wird in der EU-Kommission auch so empfunden. Im EU-Parlament möglicherweise schon gleich gar nicht. Aber um die Frage, was inhaltlich sinnvoll ist und auf was verzichtet werden kann, soll es an dieser Stelle nicht gehen, zumal es im Bundesjustizministerium bereits eine Sammlung entsprechender Regeln geben soll, über deren Umsetzung dann politisch entschieden werden kann.


Entlastender, auch für die bürokratischen Dinge, die erhalten bleiben, ist es auf jeden Fall, wenn sie digital erledigt werden können. Die digitale Verwaltung in allen Dimensionen ist der Schlüssel für eine Entlastung von Bürgern und Unternehmen von Bürokratie. Da hinkt Deutschland bekanntlich hinterher und es hat auch keinerlei Voraussetzungen dafür, diese Aufgabe smart und schnell zu erledigen. Die Chance, daran zu scheitern ist deutlich größer als die, das vernünftig lösen zu können. Und jeder Bundesdigitalminister ist per se eine traurige Gestalt, zum Mißerfolg verdammt.


Das hat natürlich Gründe. Tiefgreifende sogar. In Deutschland sind es drei Gründe: der Föderalismus, die kommunale Selbstverwaltung und die deutsche Verwaltungstradition.


Nach dem Krieg achteten die Alliierten darauf, dass der Zentralstaat nicht zu viel Macht bekam und siedelten zentrale Kompetenzen bei den Ländern und in den Kommunen an. Beide verwalten sich selbst, demokratisch kontrolliert und legitimiert. Nahezu das gesamte relevante Verwaltungshandeln findet auf diesen Ebenen statt. Auch Verwaltungsleistungen des Bundes, etwa das Ausstellen eines Bundespersonalausweises oder Reisepasses, wird im Rahmen der Auftragsverwaltung von den örtlichen Rathäusern übernommen. Wie diese das erledigen, wie digital oder nicht, bleibt diesen überlassen. Die Finanzverwaltung, ein wichtiger Bürokratieplayer, ist Landesverwaltung. Mit anderen Worten: der Bund allein kann kaum digitalisieren, es kommt auf Länder und Kommunen an.


Die immer wieder als leuchtende Beispiele der Digitalisierung genannten Staaten, etwa die baltischen Länder, sind allesamt Zentralverwaltungsstaaten. Da gibt es eine Vorgabe von oben und unten wird digitalsiert. Und: diese Staaten haben ihre Verwaltungen nach der Loslösung von der Sowjetunion neu aufgestellt. In Deutschland hat die preussische Verwaltung tapfer mehrere Kriege und zwei Diktaturen unbeschadet überstanden und der deutsche Verwaltungsbeamte ist seit Generationen darauf geschult.


Digitalisierungsvorschläge werden in Deutschland erstmal mit 16 Fachministerien diskutiert, die alle der Sache noch einen eigenen Dreh („Wir in X machen das ein wenig anders, weil das ist unser x-Weg“), gern auch parteipolitisch, geben. Die konkreten Anwendungen werden dann den Kommunen überlassen, die ihrerseits ihren eigenen Weg gehen. Der Bund hat seine Anwendungen nahezu komplett digitalisiert, abgesehen von der Arbeitsverwaltung ist das aufgrund der Auftragsverwaltung aber auch zugegebenermaßen eher überschaubar um Umfang. In den Ländern kommt man, je nach Land, auf eine Umsetzung von maximal gut 50% der relevanten Anwendungen. Die Frage, warum es nicht so etwas wie ein SAP für Kommunen oder Verwaltung gibt, ist hiermit beantwortet: weil es keinen einheitlichen Markt gibt.


Abseits vom einheitlichen Markt gibt es auch keinen einheitlichen Weg bei der Frage, wie denn Verwaltungsaufgaben zu digitalisieren sind. Da wird der Download eines Antrags als pdf gelegentlich schon mal für Digitalisierung gehalten. Allzu oft ist es so, dass die gestandenen Verwaltungsbeamten die bisherigen Verwaltungswege für die einzelnen Anwendungen schlicht 1:1 digitalisieren. Was es nicht zwingend einfacher machen muss. Jedenfalls für den Bürger nicht. Dabei bietet die Digitalisierung die große Chance, die staatlichen Dienstleistungen vom Bürger her zu denken und disruptiv vorzugehen. Das Ergebnis in den Mittelpunkt zu stellen und mit der Sichtweise des Bürgers zu denken. Dazu muss man aber vom Bürger her denken, was einem langjährigen, verdienten und erfolgreichen Verwaltungsbeamten schwer fallen dürfte. Das ist keinerlei Vorwurf an den Verwaltungsbeamten, das Sein bestimmt das Bewusstsein. Nur ist es eben nicht optimal, die Digitalisierung (ausschließlich) in die Hände der Verwaltung zu geben. Die Digitalisierung erfordert disruptive Ansätze, sonst wird die Bürokratie nicht abnehmen.


An dieser Stelle kommt der Wähler in‘s Spiel, der sich in Umfragen genervt gibt von Bürokratie und langsamer Digitalisierung, wobei hier auch mit Digitalisierung häufig nur „Bandbreite“ gemeint sein kann. Dieser Wähler wählt auf kommunaler Ebene überwiegend Kandidaten in das Bürgermeisteramt, die einen Verwaltungshintergrund haben, also Verwaltungsbeamte sind. Der Ansatz, dass diejenigen ja verstünden, um was es gehe, ist so falsch ja auch nicht. Allerdings hat jeder Bürgermeister oder Landrat ja eine Verwaltung zur Verfügung, die eben das weiss, es geht in diesen Ämtern vielmehr um politische Führung. Aber es ist müßig, demokratische Entscheidungen souveräner Bürger zu kritisieren, zumal es ja Ausnahmen gibt, die die Regel bestätigen. Im Ergebnis verschärft sich die Situation an der Digitalisierungsfront allerdings. Notwendig wäre der unverstellte Blick von außen, der bereit ist, Mauern zu versetzen, um Räume zu schaffen, in denen Neues ermöglicht wird. Realität ist dann aber eher ein neuer Anstrich des bekannten Grundrisses.


Wenn man mit weniger Geld eine wirksamere Politik machen möchte und damit die Digitalisierung der Verwaltung meint, dann muss man einheitliche digitale Anwendungen auf Bundesebene schaffen, die von allen Ländern und Kommunen 1:1, ohne x- oder y-Weg, umgesetzt werden. Dann gäbe es einen einheitlichen Markt, dann würden sich Anwendungssysteme finden, die eine Art Kommunaloffice anböten, mit entsprechenden ansprechenden Apps für die Endanwender. Kapital würde freigesetzt. Es benötigt ein Commitment auf Landes- und Kommunalebene, mitzuziehen und das bis in das letzte Rathaus hinein durchzusetzen. Das würde wenig kosten und es wäre wirksam. Nur einfach ist es halt nicht.

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Björn Sänger

Björn Sänger ist Managing Partner im Unternehmen.

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